Best Practice Swiss Plastics Expo 2023

Meniskus-Prothese per Additive Manufacturing (AM)

Additive Manufacturing (AM) für die Medizintechnik ist bereits in zahlreichen kunststoffverarbeitenden Betrieben implementiert. Mithilfe von AM und Computer Tomographie (CT) kann die Herstellungskette signifikant optimiert werden, wie ein Anwendungsfall für eine Meniskusprothese zeigt.

Meniskus-Prothese per AM

Additive Manufacturing (AM) für die Medizintechnik ist bereits in zahlreichen kunststoffverarbeitenden Betrieben implementiert. Mithilfe von AM und Computer Tomographie (CT) kann die Herstellungskette signifikant optimiert werden, wie ein Anwendungsfall für eine Meniskusprothese zeigt.

 

Das Resultat gleich vornweg: Auf Basis eines risikobasierten Ansatzes mit Additive Manufacturing und Computertomographie (Bild 1) konnte die Fertigung von Medizinprodukten und sogar Langzeitimplantaten optimiert, komplettiert und finalisiert werden. Und das von der ersten Idee bis zum steril verpackten Medizinprodukt auf Basis des gewünschten Verwendungszwecks. Risikobasiert meint, dass Unsicherheiten in den Herstellprozessen identifiziert und Kontrollen innerhalb der entsprechenden Prozesse angewendet werden, beispielsweise durch die Design of Experiment-Technik (DoE). So können potenziell negative Auswirkungen auf den Prozess und das Produkt minimiert, die positiven hingegen maximiert werden.

 

Der Prozessablauf

Der Prozess und seine Stationen werden in diesem Fachbeitrag an einem Fallbeispiel des Kunststoffherstellers Samaplast AG für dessen Kunden Atro Medical erläutert und illustriert. In der Zusammenarbeit wurde eine Meniskus-Prothese zur Herstellungs- bzw. Marktreife gebracht.

 

Die Meniskusprothese (Bild 2) wurde von Atro Medical speziell für Patienten entwickelt, die nach einer Meniskusentfernung unter anhaltenden Knieschmerzen leiden. Das Projekt befindet sich derzeit im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Bei der Anwendung übernimmt die Prothese die stossdämpfende Funktion des Meniskus und verhindert so den Knorpelabbau. Die Prothese sorgt ausserdem für eine gleichmässige Belastungsverteilung auf das Kniegelenk. Chronische Knieschmerzen können so gelindert werden. Die Folgen sind besserer Schlaf, wieder normales Gehen und schmerzfreies Arbeiten.

 

Meniskus-Prothese

Die Prothese ist aus Polycarbonat-Urethan (PCU) gefertigt, einem Material, das seit einiger Zeit in der Medizin und in der Implantologie verwendet wird. Es ist nicht biologisch abbaubar, das bedeutet, dass es zukünftig auch für Herzimplantate verwendet werden kann. Durch die Kombination zweier PCU-Typen mit verschiedenen Shore-Härtegraden in einem Meniskus konnte Atro Medical eine flexible und solide Lösung schaffen, um die Lebensqualität von Patienten zu verbessern.

 

Die Grundlage für einen reibungslosen Produktionsprozess und ein funktionierendes Medizinprodukt sind die Umsetzung der Design-Vorgaben und die Erfüllung aller Vorgaben in der Herstellung. Dies funktioniert mit einem lückenlosen Design-Transfer und durch die Abstimmung der Design- auf die Prozess-Risiken. Eine Prozess-FMEA muss durch den Kunden und den Lieferanten über die gesamte Herstellungskette umgesetzt sowie die risikomindernden Massnahmen in das Design und den Prozess implementiert werden.

 

Schritt Eins: Design-Idee

Zunächst musste die Design-Idee festgelegt werden, parallel dazu musste die Umsetzung garantiert sein. Dabei stellten sich mehrere Herausforderungen: Das neue Medizinprodukt, das aus zwei Komponenten – PCU mit verschiedenen Shore-Härten – bestehen sollte, musste produktionstechnischen und normativen Spezifikationen entsprechen. Zweitens muss der Verwendungszweck immer erfüllt bleiben. Drittens war die Schnittstelle zwischen den beiden Komponenten zu gewährleisten.

 

In einem ersten Schritt wurden zahlreiche Prototypen mit unterschiedlichen Design-Variationen im Additive Manufacturing (AM) unter kontrollierten Reinraumbedingungen – ISO 7 und 8 in Operation nach EN ISO 14644 – und mit Originalmaterial hergestellt (Bild 3). Diese reichten vom 2K-Zugversuchstab über verschiedenste Prototypen für kritische Bauteilgeometrien bis hin zum endgültigen Produkt-Design. Anschliessend erfolgten die Verifizierung und die Prüfung auf Festigkeit. Als Kontrollmethoden bieten sich in dieser Phase ein optischer oder ein CT-Soll-Ist-Vergleich bzw. ein Schichthaftungstest an. Dabei soll der Soll-Ist-Vergleich den Nachweis der Einhaltung der Spezifikation gewährleisten. Der Schichthaftungstest «Layer Adhesion Test» misst die Festigkeit an den Verbindungstellen der beiden Bauteile mit verschiedenen Shore-Härten.

 

Schritt Zwei: Kleinstserien

Im zweiten Schritt erfolgte die Herstellung diverser Kleinstserien. Mit Hilfe von Prototypen-Werkzeugen aus Stahl wurden diese aus Originalmaterial unter produktionsechten Bedingungen hergestellt. Die Voraussetzung: die Erfüllung aller Anforderungen bzgl. Spezifikation und Reinheit. Solche Anforderungen können Rückstandsfreiheit oder Biokompatibiltät sein. Denn nur bei 100%iger Entsprechung dürfen solche Prototypen für erste klinische Studien eingesetzt werden.

Um ein Testen am Originalmaterial schnell zu ermöglichen, müssen Prototypen aus gehärteten Stahlwerkzeugen in wenigen Tagen hergestellt sein. Damit können Projektlaufzeit und -kosten spürbar verringert werden.

Schritt Drei: Serienherstellung

Das finales Projektziel war die Serien-Herstellung der Implantate. Diese Fertigung hat unter validen Herstellungsbedingungen und kontrollierten Umgebungsbedingungen im ISO 7 Reinraum (in Operation) im Spritzgiessverfahren zu erfolgen. Inkludiert in der Fertigung sind die notwendigen Nachfolgeprozesse bis hin zur sterilen Endverpackung.

Was in obigen drei Schritten exemplarisch beschrieben wurde, konnte in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden. Nachfolgend wird das Produkt jetzt optimiert, um die Erkenntnisse der Erst-Implantationen zu integrieren. Durch diese kontinuierliche Weiterentwicklung erhöht sich die Patientensicherheit, ausserdem kann der Erfolg der medizinischen Anwendung maximiert werden. Auch in dieser Phase wird die bewährte Prozesskette des Additive Manufacturing über die Herstellung von Werkzeugen für Prototypen für Kleinstserien hin zum Spritzgiessprozess angewendet.

Erfolgsfaktoren

Um den Prozesserfolg zu gewährleisten, müssen zahlreiche Faktoren notwendig erfüllt sein. Zum einen ist modernstes technisches Equipment unabdingbar. Dazu zählen u.a. qualifizierte 3D-Drucker, z.B der Arburg Freeformer, Reinräume uvm. Zum anderen müssen die Rahmenbedingungen der einzelnen Fertigungsabschnitte erfüllt sein, damit der Design-Transfer zum nächsten Verfahrensschritt funktioniert und die Prozessschnittstellen nicht zu Stolpersteinen werden.

Rahmenbedingungen für das Additive Manufacturing (AM)

  • Zertifizierung nach Stand der Technik (ISO/ASTM 52920 bzw. DIN SPEC 17071)
  • risikobasierter Ansatz: kritische Einflussgrössen, Medizinprodukte-Herstellung, Schnittstellen zu verschiedenen Herstellungsverfahren im Design-Transfer
  • qualifizierte Reinräume und Maschinen
  • Material- und Prozess-Know-how
  • Prozessvalidierung und Materialqualifizierung
  • Material: Haftung/Ablösung, Biokompatibilität
  • Flexibilität bei der Konstruktion der Bauteile

 

Die Zukunft bleibt spannend

Additive Manufacturing hilft zum einen beim Festlegen und Bestätigen der Design-Idee entscheidend und minimiert so auch nicht kalkulierte Risiken für den Patienten, die im Zuge der Design-Findungsphase gar nicht im Fokus standen. Zum anderen kann es es für die Herstellung von Medizinprodukten bzw. Implantaten eingesetzt werden. Weiter gibt es Bestrebungen, das bestehende validierte additive Verfahren für die Medizinprodukte-Herstellung auszubauen und neue Geometriemöglichkeiten für Kleinstserien bis hin zu Losgrösse 1 auszuschöpfen. Damit wird die Kombination vom Prototypen-Projekt hin zu OEM-Projekten für Kunden möglich.

Zudem wird versucht AM-Verfahren mit dem Einsatz der CT-Verfahren in die Herstellungskette zu kombinieren, damit keimarm produzierte Medizinprodukte, z.B individuell gefertigte Kundenprodukte, in deren Verpackung verifiziert und anschliessend sterilisiert werden können. Im Zuge der Prüfung werden so Querkontaminationen ausgeschlossen und die Erfüllung aller Regularien garantiert.